Die Bergspitzen
sind schneeweiß und sehen aus, als wären sie frisch mit Puderzucker bestäubt.
Die Schneedecke reicht bis in die Täler und zaubert eine wunderschöne
Winterlandschaft. Kräftige Kabel einer Seilbahn durchschneiden die Berghänge. Die
Luft ist eiskalt und umspielt meine Nase, sie ist das einzige Körperteil welches
nicht durch schützenden Stoff bedeckt ist.
Undefinierbare
Laute durchdringen das friedliche Märchenidyll: „Mupfwgrstmpf“ oder ähnlich
klingt es und ich werde wach. Langsam realisiere ich, dass ich im Bett liege,
geträumt habe und beim wach werden auf die Rauhfasertapete starre die von
Spinnweben überzogen ist - von wegen Schnee, Berge, Täler und Seilbahnkabel. Das
einzige was wirklich ist, ist das offene Fenster. Es ist Dezember und eiskalt in
unserem Schlafzimmer. Eigentlich ist es kein Schlafzimmer, eher so was wie eine
Zwischenbleibe in die wir uns selbst verbannt haben. Was tut man nicht alles
für die lieben Kleinen. Aber der Reihe nach.
In diesem
Haus kommt es immer mal wieder vor, dass das ein oder andere Kind für ein paar
Jahre Unterschlupf sucht. Das ein oder andere Kind? Ja, mein Schatz und ich
haben zusammen 4 Kinder, jeder zwei an der Zahl. Nicht das vier nicht schon
genug wären, nein, es sind auch noch vier Mädels. Mein Schatz dazu gezählt sind
es fünf weibliche Mitbewohner. Glücklicherweise sind sie nicht immer alle zur
gleichen Zeit hier, wäre ja auch nicht
auszudenken, denn eine reicht im Allgemeinen aus um mich in den Wahnsinn zu
treiben.
Es ist
Samstag und wir werden so langsam wach. Während ich relativ schnell in der
Wirklichkeit ankomme, mein Kreislauf in Schwung kommt und das Bett verlasse,
dauert es bei meinem Mupf – benannt nach dem ersten morgendlichen Geräuschen,
die Ihre Stimmbänder in der Lage sind von sich zu geben – doch gewöhnlich eine
ganze Weile. Sie steht auf und taumelt in Richtung Küche um sich einen Kaffee
zu machen. Das ist immer ihre erste Tätigkeit und zu diesem Zeitpunkt sind ihre
Augen noch geschlossen. Sie orientiert sich an den elektromagnetischen Wellen
der Kaffeemaschine gleich einer Brieftaube, die die Erdpole zur Orientierung
nutzt und findet mit der Präzision einer Cruise Missile ihr Ziel. Im Gegensatz
zur Brieftaube muss sie allerdings nicht erst orientierungsrunden drehen, denn
im gewohnten Umfeld ist die Himmelsrichtung bekannt. Sie setzt das Pad ein und
drückt den Knopf. Nachdem sie den ersten Schluck genommen hat öffnen sich ihre
Augen. Das muss irgendwie mechanisch vonstattengehen, vermutlich wenn das erste
Koffeinmolekül den Rachenraum passiert wird ein Hebel ausgelöst der die Lieder
öffnet. Ist wahrscheinlich bei ihr so einevolutioniert. Erste vorsichtig
angedeutete Gespräche sind jetzt denkbar aber noch nicht möglich. Fragen können
platziert werden aber die Antworten lassen noch nicht auf sich warten.
„Moin
Schatz, alles klar?“ werfe ich meine Standardfrage in die Küche. „mupfachwädn“
oder ähnlich gurgelt die Antwort heraus. Aber nach ein paar Minuten kommen dann
auch die ersten nutzbaren Gesprächsfetzen. „mache mern heut?“ fragte sie. Ist schon
lustig mein Mupf, der halbe Tag ist rum und sie fängt an denselben zu planen. Bis dahin habe ich schon Brötchen geholt, war
beim Friseur und in der Autowaschstraße. „Wir ziehen unser Schlafzimmer wieder
in den ersten Stock“ schlug ich vor. Das ist durchaus sinnvoll, jetzt nachdem
meine Tochter #1 ausgezogen ist. Im jetzigen Zustand und nach erst zwei Tassen
Kaffee ist das allerdings für den Mupf noch nicht vorstellbar. Ich warte noch
ein paar Minuten und spreche das Thema erneut an. „OK“ sagt sie nach der
dritten Tasse Kaffee und „ich mach mich fertig“. Und schon nach weiteren 2
Stunden in denen ich das Auto gesaugt, die Straße gekehrt und das Bett abgeschlagen
hatte, starten wir gemeinsam die Aktion. Wir arbeiten beharrlich an unserem
Tagesziel und hätten es erreichen können. Doch wirklich, wir hätten es schaffen
können. Dazu wäre aber auch ein Quäntchen Glück oder eine gestörte
Telefonverbindung nötig gewesen. Durchaus hilfreich auch eine geringere Anzahl
von Mupfgeschwistern, das sind immerhin fünf, die sich fast täglich kreuz und
quer wegen ihrer Mutter abstimmen müssen, damit auch ja sichergestellt ist, das
jede Neuigkeit umgehend allen bekannt wird.
Es ist nicht so, dass der Mupf die Arbeit beim Telefonieren einstellt, nein,
das Telefon wird zwischen Kinn und Schulter geklemmt und weiter geht’s – wenn auch
mit geringerer Leistung. Es ist die Haltung über die sich die Orthopäden des
Landes freuen, denn irgendwann spielt sie denen Geld in die Kasse. Nicht nur
körperlich ist der Mupf eingeschränkt, auch die Kommunikation zwischen uns ist einseitig.
„Schatz kannst Du mir mal helfen, ich komme nicht weiter und hänge hier fest“ rufe
ich aus dem Treppenhaus mit dem Kopfteil des Bettes über der linken Schulter
und dem Fußteil in der rechten Hand eingeklemmt
zwischen Geländer und Wand. Die Muskeln meines linken Oberschenkels zum Bersten
angespannt warte ich auf Hilfe. Mupf steht im Moment mit ihrem Ohr auf der
Schulter an der Kaffeemaschine. Sehen kann ich das nicht, nur vermuten, denn
die Maschine gurgelt mal wieder ihr bekanntes Lied und sie spricht mit jemandem.
Ich warte immer noch auf Rettung und mein Oberschenkel glüht bereits. Sie hört
mich nicht. Also lauter. „SCHATZ, HILF MIR MAL!!!“ brülle ich jetzt mit der Lautstärke
eines Maurerpoliers, der eine Betonmischmaschine und eine Dampframme von Typ
Herkules übertönen muss. Mit Erfolg, wie sich sogleich herausstellt, der Mupf erhört
mein Flehen, kommt um die Ecke und schaut mich empört an, ungefähr so wie ein
Diktator, dem man die Panzer weg genommen hat.
Aber sie
erkennt schnell die Lage und leitet die Rettungsaktion ein. Schritt eins, zurück
in die Küche (ca. 2 Sek). Schritt 2, Kaffee wegstellen (ca. 3 Sek). Schritt 4,
von Schwester verabschieden und noch schnell klären wann der nächste Besuch bei
Muttern geplant ist, wer dorthin fährt und was mitzubringen ist und wie das Weihnachtstreffen
verlaufen soll. Ich höre noch wie sie sagt „Ok ruf´ Du Schwester #3 an und ich Schwester
# 4, dann können wir ja noch mal telefonieren.“ (ca. 240 Sek). Auf dem Weg zum
Treppenhaus, nimmt sie noch schnell einen Schluck Kaffee und schreitet behände
zur Tat während sie mir zuflüstert „Schatz, warum gehst Du denn nicht zweimal,
Du musst doch nicht so schwer tragen!?“. Ich schaue jetzt vermutlich so wie Hardy
schaut wenn Laurel mal wieder irgendeinen Mist verzapft hat. Aber wir müssen ja
nicht heute fertig werden, es gibt ja schließlich auch noch wichtigeres und die
ein oder andere Kleinigkeit kann auch am Sonntag noch erledigt werden.
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