Sonntag, 22. Dezember 2013

Ein fast normaler Samstag


Die Bergspitzen sind schneeweiß und sehen aus, als wären sie frisch mit Puderzucker bestäubt. Die Schneedecke reicht bis in die Täler und zaubert eine wunderschöne Winterlandschaft. Kräftige Kabel einer Seilbahn durchschneiden die Berghänge. Die Luft ist eiskalt und umspielt meine Nase, sie ist das einzige Körperteil welches nicht durch schützenden Stoff bedeckt ist.

Undefinierbare Laute durchdringen das friedliche Märchenidyll: „Mupfwgrstmpf“ oder ähnlich klingt es und ich werde wach. Langsam realisiere ich, dass ich im Bett liege, geträumt habe und beim wach werden auf die Rauhfasertapete starre die von Spinnweben überzogen ist - von wegen Schnee, Berge, Täler und Seilbahnkabel. Das einzige was wirklich ist, ist das offene Fenster. Es ist Dezember und eiskalt in unserem Schlafzimmer. Eigentlich ist es kein Schlafzimmer, eher so was wie eine Zwischenbleibe in die wir uns selbst verbannt haben. Was tut man nicht alles für die lieben Kleinen. Aber der Reihe nach.
In diesem Haus kommt es immer mal wieder vor, dass das ein oder andere Kind für ein paar Jahre Unterschlupf sucht. Das ein oder andere Kind? Ja, mein Schatz und ich haben zusammen 4 Kinder, jeder zwei an der Zahl. Nicht das vier nicht schon genug wären, nein, es sind auch noch vier Mädels. Mein Schatz dazu gezählt sind es fünf weibliche Mitbewohner. Glücklicherweise sind sie nicht immer alle zur gleichen  Zeit hier, wäre ja auch nicht auszudenken, denn eine reicht im Allgemeinen aus um mich in den Wahnsinn zu treiben.

Es ist Samstag und wir werden so langsam wach. Während ich relativ schnell in der Wirklichkeit ankomme, mein Kreislauf in Schwung kommt und das Bett verlasse, dauert es bei meinem Mupf – benannt nach dem ersten morgendlichen Geräuschen, die Ihre Stimmbänder in der Lage sind von sich zu geben – doch gewöhnlich eine ganze Weile. Sie steht auf und taumelt in Richtung Küche um sich einen Kaffee zu machen. Das ist immer ihre erste Tätigkeit und zu diesem Zeitpunkt sind ihre Augen noch geschlossen. Sie orientiert sich an den elektromagnetischen Wellen der Kaffeemaschine gleich einer Brieftaube, die die Erdpole zur Orientierung nutzt und findet mit der Präzision einer Cruise Missile ihr Ziel. Im Gegensatz zur Brieftaube muss sie allerdings nicht erst orientierungsrunden drehen, denn im gewohnten Umfeld ist die Himmelsrichtung bekannt. Sie setzt das Pad ein und drückt den Knopf. Nachdem sie den ersten Schluck genommen hat öffnen sich ihre Augen. Das muss irgendwie mechanisch vonstattengehen, vermutlich wenn das erste Koffeinmolekül den Rachenraum passiert wird ein Hebel ausgelöst der die Lieder öffnet. Ist wahrscheinlich bei ihr so einevolutioniert. Erste vorsichtig angedeutete Gespräche sind jetzt denkbar aber noch nicht möglich. Fragen können platziert werden aber die Antworten lassen noch nicht auf sich warten.
„Moin Schatz, alles klar?“ werfe ich meine Standardfrage in die Küche. „mupfachwädn“ oder ähnlich gurgelt die Antwort heraus. Aber nach ein paar Minuten kommen dann auch die ersten nutzbaren Gesprächsfetzen. „mache mern heut?“ fragte sie. Ist schon lustig mein Mupf, der halbe Tag ist rum und sie fängt an denselben zu planen.  Bis dahin habe ich schon Brötchen geholt, war beim Friseur und in der Autowaschstraße. „Wir ziehen unser Schlafzimmer wieder in den ersten Stock“ schlug ich vor. Das ist durchaus sinnvoll, jetzt nachdem meine Tochter #1 ausgezogen ist. Im jetzigen Zustand und nach erst zwei Tassen Kaffee ist das allerdings für den Mupf noch nicht vorstellbar. Ich warte noch ein paar Minuten und spreche das Thema erneut an. „OK“ sagt sie nach der dritten Tasse Kaffee und „ich mach mich fertig“. Und schon nach weiteren 2 Stunden in denen ich das Auto gesaugt, die Straße gekehrt und das Bett abgeschlagen hatte, starten wir gemeinsam die Aktion. Wir arbeiten beharrlich an unserem Tagesziel und hätten es erreichen können. Doch wirklich, wir hätten es schaffen können. Dazu wäre aber auch ein Quäntchen Glück oder eine gestörte Telefonverbindung nötig gewesen. Durchaus hilfreich auch eine geringere Anzahl von Mupfgeschwistern, das sind immerhin fünf, die sich fast täglich kreuz und quer wegen ihrer Mutter abstimmen müssen, damit auch ja sichergestellt ist, das jede Neuigkeit umgehend  allen bekannt wird. Es ist nicht so, dass der Mupf die Arbeit beim Telefonieren einstellt, nein, das Telefon wird zwischen Kinn und Schulter geklemmt und weiter geht’s – wenn auch mit geringerer Leistung. Es ist die Haltung über die sich die Orthopäden des Landes freuen, denn irgendwann spielt sie denen Geld in die Kasse. Nicht nur körperlich ist der Mupf eingeschränkt, auch die Kommunikation zwischen uns ist einseitig. „Schatz kannst Du mir mal helfen, ich komme nicht weiter und hänge hier fest“ rufe ich aus dem Treppenhaus mit dem Kopfteil des Bettes über der linken Schulter und dem Fußteil in der rechten Hand  eingeklemmt zwischen Geländer und Wand. Die Muskeln meines linken Oberschenkels zum Bersten angespannt warte ich auf Hilfe. Mupf steht im Moment mit ihrem Ohr auf der Schulter an der Kaffeemaschine. Sehen kann ich das nicht, nur vermuten, denn die Maschine gurgelt mal wieder ihr bekanntes Lied und sie spricht mit jemandem. Ich warte immer noch auf Rettung und mein Oberschenkel glüht bereits. Sie hört mich nicht. Also lauter. „SCHATZ, HILF MIR MAL!!!“ brülle ich jetzt mit der Lautstärke eines Maurerpoliers, der eine Betonmischmaschine und eine Dampframme von Typ Herkules übertönen muss. Mit Erfolg, wie sich sogleich herausstellt, der Mupf erhört mein Flehen, kommt um die Ecke und schaut mich empört an, ungefähr so wie ein Diktator, dem man die Panzer weg genommen hat.

Aber sie erkennt schnell die Lage und leitet die Rettungsaktion ein. Schritt eins, zurück in die Küche (ca. 2 Sek). Schritt 2, Kaffee wegstellen (ca. 3 Sek). Schritt 4, von Schwester verabschieden und noch schnell klären wann der nächste Besuch bei Muttern geplant ist, wer dorthin fährt und was mitzubringen ist und wie das Weihnachtstreffen verlaufen soll. Ich höre noch wie sie sagt „Ok ruf´ Du Schwester #3 an und ich Schwester # 4, dann können wir ja noch mal telefonieren.“ (ca. 240 Sek). Auf dem Weg zum Treppenhaus, nimmt sie noch schnell einen Schluck Kaffee und schreitet behände zur Tat während sie mir zuflüstert „Schatz, warum gehst Du denn nicht zweimal, Du musst doch nicht so schwer tragen!?“. Ich schaue jetzt vermutlich so wie Hardy schaut wenn Laurel mal wieder irgendeinen Mist verzapft hat. Aber wir müssen ja nicht heute fertig werden, es gibt ja schließlich auch noch wichtigeres und die ein oder andere Kleinigkeit kann auch am Sonntag noch erledigt werden.
Ich hab´ ihn lieb meinen Mupf und ich finde jeder sollte einen haben.
Ja, und so geht ein fast normaler Samstag dem Ende zu. Es ist jetzt 20:15, ich liege auf dem Sofa mit schmerzverzehrtem Gesicht, den Oberschenkel und die Schulter eingerieben mit Voltaren und Mupf beobachtet mit hellwachen und weit aufgerissenen Augen - dank der Unmengen von Koffein- , was auf dem Fernsehbildschirm so passiert. Und morgen wenn Sie wach ist – so zwischen 11:00 und 12:00 - kriege ich wieder Mecker weil ich beim Fernsehen eingeschlafen bin. Aber bald sind wir wieder eine Herz und eine Seele, denn ich habe schon Brötchen geholt, den Tisch gedeckt, Kaffee und Eier gekocht und die Zeitung liegt auf dem Tisch. Ganz so als wären wir im Urlaub und schauen uns die mit Puderzucker bestäubten Bergspitzen an.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen