Ja, ich laufe wieder regelmäßig. Sogar so regelmäßig, dass ich an einem
Silvesterlauf im Westerwald teilgenommen habe, bei dem ich wissen wollte was
noch so geht. Wenn ich allerdings vorher gewusst hätte, dass mich bei dieser
Veranstaltung ein altersschwacher Renndackel in die Schranken weisen würde,
hätte ich mir die Teilnahme erspart – ehrlich.
Höchste Zeit mal etwas über meine Leidenschaft, das Laufen, zu Bildschirm
zu bringen. Im vergangenen Jahr habe ich mich wieder recht gut in Form
gebracht, was auch bitter nötig war. 10 Jahre habe ich so gut wie keinen Sport
gemacht. Den unförmigen Fettsack im Spiegel konnte ich schon nicht mehr sehen. Ein
paar Wochen mehr oder weniger strenge Diät, bei der ich mir hauptsächlich die
Kohlenhydrate verboten hatte und gleichzeitiges Lauftraining, hat 8kg Hüftspeck
rasch schwinden lassen. Jetzt sieht der Zoddel wieder recht passabel aus und
schämt sich nicht, wenn er seine Konturen im Spiegel ansieht. Gut, für ein
Posing auf den Bühnen der Fitnesswelt reicht es nicht aber für mein Alter von
51 Lenzen und einem BMI um die 23 kann ich jetzt zufrieden sein. An meine
früheren Laufleistungen kann und will ich nicht mehr anknüpfen, Gesundheit und
Fitness sind meine Motivatoren. Noch vor drei Monaten habe ich die Teilnahme an
weiteren Marathons weit von mir geschoben, jetzt spukt mir das schon wieder
ständig im Kopf herum. Insbesondere nach dem Ergebnis des 10km Laufes an
Silvester.
Wir, mein Mupf und noch zwei Freunde, haben uns
entschlossen an diesem Silvesterlauf gemeinsam teilzunehmen. Mit ein paar
Läufen hatten wir vorher zu viert die Gemarkung unsicher gemacht, die
Vorbereitung für den Lauf hat aber jeder für sich durchgezogen und so
unterschiedlich waren auch unsere Ziele. Am Silvestermorgen ging es also zu
viert und gut gelaunt in Richtung Westerwald.
Strahlend blauer Himmel und ich treffe meinen Freund Michi, wie schön,
leider wenig Zeit zum Plaudern. In 10 min geht´s los. Wir gehen zur
Startaufstellung wo sich bereits die meisten Läuferinnen und Läufer versammelt
haben. Aufstellung nach Leistungsklasse. Understatement? Nee, nicht heute! So
stelle ich mich im vorderen Drittel auf, wäre doch gelacht. Nicht nur Red Bull
sondern auch Selbstbewusstsein soll ja bekanntlich beflügeln. Ich schaue mich
in der Menge um und taxiere potenzielle Gegner. Direkt neben mir steht so ein
kleiner Dicker mit nem Bauch groß wie ein Medizinball, ich schätze ihn auf 60
bis 65 Jahre. Seine Haare und sein lang gezwirbelter Schnauzbart sind Aschgrau.
Seine funkelnagelneuen quietschroten Laufschuhe passen so gar nicht zu der unsportlich
anmutenden Figur und er wirkt irgendwie wie ein Schwertransporter auf Alufelgen. Ich
höre wie er zu seiner Nachbarin spricht „Do lasse mer uns emal öwerraasche, so knapp
unner ner Stond“ sagt er zu ihr, woraus ich schließe, dass sie ihn gefragt hat
was er sich für eine Zielzeit vorgenommen hat. Unter ner Stunde denke ich so
bei mir – der kleine Dicke? Das hat er sich wohl etwas zu viel vorgenommen der
Aufschneider. Er hat ungefähr die Figur wie Obelix und müsste ebenfalls in den Zaubertrank
gefallen sein wenn er das schaffen will. Die große Uhr unter dem Startbogen
zeigt noch eine Minute bis zum Start. Der Dicke dreht sich zu mir um, schaut
mich an und zeigt mir seine Faust mit nach oben zeigendem Daumen und grinst.
Ich tue es ihm gleich. „Viel Glück“ rufe ich ihm zu und denke „hoffentlich
gibt´s noch heißes Wasser in der Dusche, wenn Du ins Ziel kommst.“. Jetzt fällt
der Startschuss und wegen der Menge an Läufern dauert es ein paar Minuten bis
wir die Startlinie überqueren. Bis dahin hüpft die rheinische Spaßkugel lustig
von einem Bein auf´s andere und fällt schon gleich zurück, was ja zu erwarten
war. Vor uns liegen ca. 5km Anstieg. Ich habe mir vorgenommen von Anfang bis
Ende ein gleichmäßiges Tempo zu laufen. Bei der Zielzeit von 55 min ist das
eine Pace von 5:30. Nach dem ersten Kilometer träume ich schon von unserer
Couch. Nach dem zweiten kann ich schon nicht mehr träumen. Das Blut ist zwar in
Wallung aber es hat besseres zu tun als das Gehirn zu versorgen, denn es
blubbert in den Beinen herum und ist damit beschäftigt die Beinmuskulatur zu versorgen und damit vollkommen
ausgelastet. Ich laufe im Trott mechanisch vor mich hin, halte aber die Geschwindigkeit
obwohl die Beine mittlerweile zu Zementblöcken geworden sind und mein
läuferisches Erscheinungsbild alles andere als elegant ist. „Mann bin ich gut“ denke
ich trotzdem um mich selbst zu motivieren und komme nach 5 km und knapp 28 min oben an. Dort
gibt es warmen, zuckersüßen Tee. Ich schnappe mir einen Becher im Vorbeilaufen
und will ihn mir in die Futterluke kippen. „Wir Profis“ bleiben natürlich nicht
stehen sondern kippen uns im Lauf die Zuckerpampe in die Fresse, was ich noch
nie richtig beherrscht habe und jedes Mal, genau wie jetzt, die Hälfte am Ziel
vorbeigeht und sich auf der vor Anstrengung verzehrten Fratze und angrenzenden
Körperteilen verteilt. Bei Wasser an sich kein Problem aber bei Tee, der zu 80%
aus Zucker besteht, ist das eine schöne Sauerei von der ich noch lange was habe.
Das Zeug klebt jetzt alles zusammen, die Nasenlöcher, die Lippen, die Finger,
das T-Shirt an die Brustwarzen und die Schuhe an den Boden, letzteres könnte
aber auch an den Basaltblöcken liegen,
die mir jemand an die Füße gebunden hat. Die Läufergruppe ist schon ziemlich
auseinander gezogen. Endlich geht der Anstieg in die Ebene über und ich kann
etwas entspannen. Wie ich so vor mich hin trotte vernehme ich von hinten
ein Schnaufen. Es wird lauter und wird begleitet von schnellen Schritten. Das
Schnaufen kommt näher. Wird wohl so ein junger Hirsch sein, der mich gleich
überholt. Die Schritte werden lauter und lauter und kommen von links hinter mir. Ich drehe
mich um und traue meinen Augen nicht. Der kleine Dicke in vollem Lauf. Wie ist
das möglich? Der Renndackel hat ne Schrittfrequenz, die dem Flügelschlag eines
Kolibri nahe kommt. Zaubertrank denke ich. Das was da unter seinem Wanst als rotierende,
halbdurchsichtige Scheiben erkennbar ist müssen seine Beine sein und die Schuhe
bilden einen roten Ring. Die Latschen sind vermutlich von Ferrari, anders ist
das nicht zu erklären. Er ist jetzt auf meiner Höhe und ruft mir zu „Hörens,
bis joot unterwegs min Jong.“. „Du aber auch - Respekt“ rufe ich dem Kölner zu
und japse nach jedem Wort nach Luft. Jetzt erzählt er mir, dass er sich nicht so
gut vorbereitet hat und nicht annähernd an seine eigentliche Leistung herankommt.
Der Elefant auf den Beinen eines Springbocks holt noch nicht mal Luft. Sein
Schnauzer, durch den Luftwiderstand nach hinten gebogen, wippt im Takt seiner
Schritte lustig auf und ab während er weiter und weiter erzählt. So erfahre
ich, dass er 68 ist und den Silvesterabend mit seiner Frau tanzbeinschwingend
in Wiesbaden verbringt. Na prima, meine Moral ist sowieso schon ganz unten und
er muss mir erzählen, dass er heute Abend noch tanzen geht, der Angeber. Jetzt
zieht er an mir vorbei. „Nen jooten Rutsch min Jong“ wünscht er mir noch und da
ist er auch schon vorbei. Ich muss mich nicht zwicken um zu wissen, dass ich
das nicht geträumt habe. Meine schmerzenden Beine erzählen mir das sekündlich.
Ich rufe ihm zu „viel Spaß beim Tanzen und schon Dich, hast genug geleistet
heute“. Ich sehe wie die Turbowutz sein Tempo verlangsamt, sich im Lauf umdreht
und ruft „Minn Schnäuzelchen und ich sin leidenschaftliche Rock´n Roll Tänzer,
dat is eijentlich unser Sporrt! Dat loofe is nur Ausjeleich“. Aha, Rock´n Roll,
nicht gerade der entspannendste Tanz. Ich winke ihm nochmal zu und überlege
jetzt rechts raus zu laufen am besten geradewegs gegen die dicke Eiche, dann
ist Ruh´. Aber das Tempo ist zu gering, außer Schmerzen bringt das nichts und
die habe ich sowieso schon.
Noch drei Kilometer bis zum Ziel und es geht bergab. Ich lege den
knieschonenden Gang ein und schaue auf die Uhr. Sieht gut aus, meine Zielzeit
liegt noch im Bereich des Möglichen. Nachdem ich auf eine lange gerade
abgebogen bin sehe ich weit vorne, ich meine ganz weit vorne, die zwei
Ferrarischeiben, wie sie sich durch den Waldweg fräsen, dass das Laub nur so spritzt.
Der Mann ist echte ne Rakete und in mir steigt echte Bewunderung hoch. Nach der
langen Gerade sehe ich den Zieleinlaufbogen und ich bin echt froh dass es
gleich vorbei ist.
Im Ziel angekommen taumele ich ohne Umwege zum Weizenbierstand und greife nach
dem erst Besten. Hier treffe ich auch wieder den Fettmops GTI, der gerade sein
leeres Glas abstellt. Er muss ungefähr eine Minute vor mir angekommen sein und
das sind Welten. Mit schaumgetränktem Schnauzer winkt er mir fröhlich zu und
ich sehe zum zweiten Mal seinen nach oben gerichteten Daumen während ich
versuche mich am Tresen festzuhalten um zu verhindern, dass mein Geläuf
wegknickt. „Hasset jeschafft?“ ruft er mir zu. Weil ich noch nach Luft ringe dauert meine Antwort
zu lange und so kommt sein Lob unaufgefordert „Hasse jot jemacht min Jong!“. Ich
frage mich warum die hier alkoholfreies ausschenken, ich könnte jetzt echt ein richtiges
vertragen. Aber eher steigt Ferrari in die Lastwagenproduktion ein, ich weiß
auch wer da die Geschäftsführung übernimmt.
Das Rennen sollte ja eigentlich ein Test sein um herauszufinden wie ich
drauf bin und wenn dieser zu kurz geratene Renndackel nicht gewesen wäre, hätte
ich die Arena mit stolz geschwellter Brust verlassen können aber so…
Auf dem Heimweg plaudern wir ausgelassen über den schönen Lauf und freuen
uns auf den gemeinsamen Silvesterabend. Ich denke an meinen neuen Freund und
wie er heute Abend sein Schnäuzelchen durch die Luft wirbelt und überlege ob ich
ihm zu Gedenken ein Wunderkerzchen anzünden werde – im Sauerstoffzelt.
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