Sonntag, 16. Februar 2014

Zoddel rennt - der Silvesterlauf


Ja, ich laufe wieder regelmäßig. Sogar so regelmäßig, dass ich an einem Silvesterlauf im Westerwald teilgenommen habe, bei dem ich wissen wollte was noch so geht. Wenn ich allerdings vorher gewusst hätte, dass mich bei dieser Veranstaltung ein altersschwacher Renndackel in die Schranken weisen würde, hätte ich mir die Teilnahme erspart – ehrlich.

Höchste Zeit mal etwas über meine Leidenschaft, das Laufen, zu Bildschirm zu bringen. Im vergangenen Jahr habe ich mich wieder recht gut in Form gebracht, was auch bitter nötig war. 10 Jahre habe ich so gut wie keinen Sport gemacht. Den unförmigen Fettsack im Spiegel konnte ich schon nicht mehr sehen. Ein paar Wochen mehr oder weniger strenge Diät, bei der ich mir hauptsächlich die Kohlenhydrate verboten hatte und gleichzeitiges Lauftraining, hat 8kg Hüftspeck rasch schwinden lassen. Jetzt sieht der Zoddel wieder recht passabel aus und schämt sich nicht, wenn er seine Konturen im Spiegel ansieht. Gut, für ein Posing auf den Bühnen der Fitnesswelt reicht es nicht aber für mein Alter von 51 Lenzen und einem BMI um die 23 kann ich jetzt zufrieden sein. An meine früheren Laufleistungen kann und will ich nicht mehr anknüpfen, Gesundheit und Fitness sind meine Motivatoren. Noch vor drei Monaten habe ich die Teilnahme an weiteren Marathons weit von mir geschoben, jetzt spukt mir das schon wieder ständig im Kopf herum. Insbesondere nach dem Ergebnis des 10km Laufes an Silvester.
Wir, mein Mupf und noch zwei Freunde, haben uns entschlossen an diesem Silvesterlauf gemeinsam teilzunehmen. Mit ein paar Läufen hatten wir vorher zu viert die Gemarkung unsicher gemacht, die Vorbereitung für den Lauf hat aber jeder für sich durchgezogen und so unterschiedlich waren auch unsere Ziele. Am Silvestermorgen ging es also zu viert und gut gelaunt in Richtung Westerwald.
Strahlend blauer Himmel und ich treffe meinen Freund Michi, wie schön, leider wenig Zeit zum Plaudern. In 10 min geht´s los. Wir gehen zur Startaufstellung wo sich bereits die meisten Läuferinnen und Läufer versammelt haben. Aufstellung nach Leistungsklasse. Understatement? Nee, nicht heute! So stelle ich mich im vorderen Drittel auf, wäre doch gelacht. Nicht nur Red Bull sondern auch Selbstbewusstsein soll ja bekanntlich beflügeln. Ich schaue mich in der Menge um und taxiere potenzielle Gegner. Direkt neben mir steht so ein kleiner Dicker mit nem Bauch groß wie ein Medizinball, ich schätze ihn auf 60 bis 65 Jahre. Seine Haare und sein lang gezwirbelter Schnauzbart sind Aschgrau. Seine funkelnagelneuen quietschroten Laufschuhe passen so gar nicht zu der unsportlich anmutenden Figur und er wirkt irgendwie wie ein Schwertransporter auf Alufelgen. Ich höre wie er zu seiner Nachbarin spricht „Do lasse mer uns emal öwerraasche, so knapp unner ner Stond“ sagt er zu ihr, woraus ich schließe, dass sie ihn gefragt hat was er sich für eine Zielzeit vorgenommen hat. Unter ner Stunde denke ich so bei mir – der kleine Dicke? Das hat er sich wohl etwas zu viel vorgenommen der Aufschneider. Er hat ungefähr die Figur wie Obelix und müsste ebenfalls in den Zaubertrank gefallen sein wenn er das schaffen will. Die große Uhr unter dem Startbogen zeigt noch eine Minute bis zum Start. Der Dicke dreht sich zu mir um, schaut mich an und zeigt mir seine Faust mit nach oben zeigendem Daumen und grinst. Ich tue es ihm gleich. „Viel Glück“ rufe ich ihm zu und denke „hoffentlich gibt´s noch heißes Wasser in der Dusche, wenn Du ins Ziel kommst.“. Jetzt fällt der Startschuss und wegen der Menge an Läufern dauert es ein paar Minuten bis wir die Startlinie überqueren. Bis dahin hüpft die rheinische Spaßkugel lustig von einem Bein auf´s andere und fällt schon gleich zurück, was ja zu erwarten war. Vor uns liegen ca. 5km Anstieg. Ich habe mir vorgenommen von Anfang bis Ende ein gleichmäßiges Tempo zu laufen. Bei der Zielzeit von 55 min ist das eine Pace von 5:30. Nach dem ersten Kilometer träume ich schon von unserer Couch. Nach dem zweiten kann ich schon nicht mehr träumen. Das Blut ist zwar in Wallung aber es hat besseres zu tun als das Gehirn zu versorgen, denn es blubbert in den Beinen herum und ist damit beschäftigt die Beinmuskulatur zu versorgen und damit vollkommen ausgelastet. Ich laufe im Trott mechanisch vor mich hin, halte aber die Geschwindigkeit obwohl die Beine mittlerweile zu Zementblöcken geworden sind und mein läuferisches Erscheinungsbild alles andere als elegant ist. „Mann bin ich gut“ denke ich trotzdem um mich selbst zu motivieren und komme nach 5 km und knapp 28 min oben an. Dort gibt es warmen, zuckersüßen Tee. Ich schnappe mir einen Becher im Vorbeilaufen und will ihn mir in die Futterluke kippen. „Wir Profis“ bleiben natürlich nicht stehen sondern kippen uns im Lauf die Zuckerpampe in die Fresse, was ich noch nie richtig beherrscht habe und jedes Mal, genau wie jetzt, die Hälfte am Ziel vorbeigeht und sich auf der vor Anstrengung verzehrten Fratze und angrenzenden Körperteilen verteilt. Bei Wasser an sich kein Problem aber bei Tee, der zu 80% aus Zucker besteht, ist das eine schöne Sauerei von der ich noch lange was habe. Das Zeug klebt jetzt alles zusammen, die Nasenlöcher, die Lippen, die Finger, das T-Shirt an die Brustwarzen und die Schuhe an den Boden, letzteres könnte aber auch an den Basaltblöcken  liegen, die mir jemand an die Füße gebunden hat. Die Läufergruppe ist schon ziemlich auseinander gezogen. Endlich geht der Anstieg in die Ebene über und ich kann etwas entspannen. Wie ich so vor mich hin trotte vernehme ich von hinten ein Schnaufen. Es wird lauter und wird begleitet von schnellen Schritten. Das Schnaufen kommt näher. Wird wohl so ein junger Hirsch sein, der mich gleich überholt. Die Schritte werden lauter und lauter und kommen von links hinter mir. Ich drehe mich um und traue meinen Augen nicht. Der kleine Dicke in vollem Lauf. Wie ist das möglich? Der Renndackel hat ne Schrittfrequenz, die dem Flügelschlag eines Kolibri nahe kommt. Zaubertrank denke ich. Das was da unter seinem Wanst als rotierende, halbdurchsichtige Scheiben erkennbar ist müssen seine Beine sein und die Schuhe bilden einen roten Ring. Die Latschen sind vermutlich von Ferrari, anders ist das nicht zu erklären. Er ist jetzt auf meiner Höhe und ruft mir zu „Hörens, bis joot unterwegs min Jong.“. „Du aber auch - Respekt“ rufe ich dem Kölner zu und japse nach jedem Wort nach Luft. Jetzt erzählt er mir, dass er sich nicht so gut vorbereitet hat und nicht annähernd an seine eigentliche Leistung herankommt. Der Elefant auf den Beinen eines Springbocks holt noch nicht mal Luft. Sein Schnauzer, durch den Luftwiderstand nach hinten gebogen, wippt im Takt seiner Schritte lustig auf und ab während er weiter und weiter erzählt. So erfahre ich, dass er 68 ist und den Silvesterabend mit seiner Frau tanzbeinschwingend in Wiesbaden verbringt. Na prima, meine Moral ist sowieso schon ganz unten und er muss mir erzählen, dass er heute Abend noch tanzen geht, der Angeber. Jetzt zieht er an mir vorbei. „Nen jooten Rutsch min Jong“ wünscht er mir noch und da ist er auch schon vorbei. Ich muss mich nicht zwicken um zu wissen, dass ich das nicht geträumt habe. Meine schmerzenden Beine erzählen mir das sekündlich. Ich rufe ihm zu „viel Spaß beim Tanzen und schon Dich, hast genug geleistet heute“. Ich sehe wie die Turbowutz sein Tempo verlangsamt, sich im Lauf umdreht und ruft „Minn Schnäuzelchen und ich sin leidenschaftliche Rock´n Roll Tänzer, dat is eijentlich unser Sporrt! Dat loofe is nur Ausjeleich“. Aha, Rock´n Roll, nicht gerade der entspannendste Tanz. Ich winke ihm nochmal zu und überlege jetzt rechts raus zu laufen am besten geradewegs gegen die dicke Eiche, dann ist Ruh´. Aber das Tempo ist zu gering, außer Schmerzen bringt das nichts und die habe ich sowieso schon.
Noch drei Kilometer bis zum Ziel und es geht bergab. Ich lege den knieschonenden Gang ein und schaue auf die Uhr. Sieht gut aus, meine Zielzeit liegt noch im Bereich des Möglichen. Nachdem ich auf eine lange gerade abgebogen bin sehe ich weit vorne, ich meine ganz weit vorne, die zwei Ferrarischeiben, wie sie sich durch den Waldweg fräsen, dass das Laub nur so spritzt. Der Mann ist echte ne Rakete und in mir steigt echte Bewunderung hoch. Nach der langen Gerade sehe ich den Zieleinlaufbogen und ich bin echt froh dass es gleich vorbei ist.
Im Ziel angekommen taumele ich ohne Umwege zum Weizenbierstand und greife nach dem erst Besten. Hier treffe ich auch wieder den Fettmops GTI, der gerade sein leeres Glas abstellt. Er muss ungefähr eine Minute vor mir angekommen sein und das sind Welten. Mit schaumgetränktem Schnauzer winkt er mir fröhlich zu und ich sehe zum zweiten Mal seinen nach oben gerichteten Daumen während ich versuche mich am Tresen festzuhalten um zu verhindern, dass mein Geläuf wegknickt. „Hasset jeschafft?“ ruft er mir zu. Weil ich noch nach Luft ringe dauert meine Antwort zu lange und so kommt sein Lob unaufgefordert „Hasse jot jemacht min Jong!“. Ich frage mich warum die hier alkoholfreies ausschenken, ich könnte jetzt echt ein richtiges vertragen. Aber eher steigt Ferrari in die Lastwagenproduktion ein, ich weiß auch wer da die Geschäftsführung übernimmt.
Das Rennen sollte ja eigentlich ein Test sein um herauszufinden wie ich drauf bin und wenn dieser zu kurz geratene Renndackel nicht gewesen wäre, hätte ich die Arena mit stolz geschwellter Brust verlassen können aber so…
Auf dem Heimweg plaudern wir ausgelassen über den schönen Lauf und freuen uns auf den gemeinsamen Silvesterabend. Ich denke an meinen neuen Freund und wie er heute Abend sein Schnäuzelchen durch die Luft wirbelt und überlege ob ich ihm zu Gedenken ein Wunderkerzchen anzünden werde – im Sauerstoffzelt.

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