Ich sitze immer noch im Wartebereich. Meinen geschwollenen Haxen habe ich auf
einem großen Blumenarrangement abgelegt. Eine Kuhle in der Hydrokultur, die ich sorgsam modelliert habe, sorgt
für eine druckfreie Ablage. Einwandfrei. Ich mache jetzt mal wieder was ich gut kann - nämlich nichts, nur warten. Aber mein Verband am Fuss tut was. Der hat sich nämlich mit der Kapilarwirkung zusammengetan und beide saugen hinterlistig ständig etwas Wasser aus dem Hydrotopf. Das merke ich aber jetzt noch nicht weil der Topf direkt an der Heizung steht und das Wasser schön warm ist. Nach ungefähr eineinhalb Ewigkeiten
werde ich endlich ins Behandlungszimmer gerufen.
Dort nehme ich Platz und schaue mich erst
mal um. An der Wand hängen verschiedene Poster mit Skelettdarstellungen von diversen Körperteilen. Auch ein Poster mit Fußskelett samt Sprunggelenk und
zugehörigen Bändern und Sehnen. Das muss ich mir mal genauer ansehen, stehe auf
und springe einbeinig hin und mache ein Bild mit dem Smartphone. Das Epizentrum der Schmerzen und die Stelle die beim
Umknicken ordentlich geknurpselt hat heißt also „tendo musculi peroneus
brevis“.
Aha, alles klar denke ich so bei mir und setz mich wieder hin. Ein
paar Minuten später kommt der Doc zur Tür herein. Das ist ein ganz junger und
er sieht irgendwie aus wie ein Inder oder Pakistani. Sein Name lässt das auch
vermuten, den auf dem Schild an seiner Brust steht Bhattachaerya. Das kann sich
ja kein normaler Mensch merken denke ich und was ich denke sieht er mir vermutlich
auch an, denn er sagt „Könnesie sage Doc ssu mia“. Ha, der gefällt mir. Jetzt
fragt er „Was kann ich füa Sie tun?“. Als erstes fällt mir Curryreis ein, weil
ich ja noch nichts gegessen habe, wegen Blutuntersuchung und so. Kann ich aber
nicht bringen, deswegen sage ich „Umgeknickt beim Sport!“. Er schaut mich an
und ich verstehe, dass er mich nicht versteht, deswegen zeige ich jetzt auf den
geschwollenen und mittlerweile auch schön gefärbten Fuß. „Aaaaaahh, fasteha, is
was draufgefalla!“. „Nee nee!“ sag ich „bin umgeknickt“ und zeige mit den
Händen wie man einen Stock bricht. Er schaut mich immer noch fragend an,
deswegen mache ich ihm das mit dem anderen Fuss vor und tue wieder mal, was ich
einfach nicht lassen kann. Mit stolz geschwellter Brust sage ich die Worte „tendo
musculi“ den Rest hatte ich natürlich wieder vergessen. Ja und unter uns Medizinern
gibt es eine Sprache, die alle verstehen – nämlich Latein. Er ist sichtlich
beeindruckt und fragt „Sie sinn Arsst?“. Ja und was soll ich sagen, ich gebe
ihm keine Antwort weil ich ja weiß dass er mich nicht versteht und außerdem
habe ich schon mal ein Grippe in Eigenbehandlung überstanden und auch eine
Dornwarze operativ selbst entfernt, so ganz medizinisch unbeleckt bin ich also
dann auch nicht. Er zieht sich einen Hocker ran und legt mein Bein auf das
Seine. „So Kollega, lasse Sie michma seen.“ sagt der Weißkittel jetzt und nimmt
meinen Fuß hoch, dass mir gleich die Schweißperlen auf die Stirn treten. Unter dem hochgehobenen Fuß auf seiner Hose erkennen wir beide jetzt einen handtellergroßen Wasserfleck in Form einer passgenauen Wadenablage. Er blickt gegen die Decke und ich gegen den Boden. Jetzt untersucht er das Sprunggelenk auf Herz und Nieren und macht einen Eintrag in den
Computer und er stutzt und dann grinst er, stutzt erneut und grinst erneut und zwar jetzt bis zu beiden Ohren. Versteh´ ich nicht. Warum grinst er?
Er kommt zurück nimmt sich erneut meinen Fuß beäugt ihn und sagt „So Hea
Kollega, mussich nochma was gucka.“. Das Kollega betont er so komisch. Jetzt fehlt nur noch, dass er die Beweglichkeit
testet und das Gelenk hin und her biegt. „Mussemia de mobilität prüfa.“
nuschelt er und biegt den Fuß hin und her wie der Iwan das Schaltgestänge eines
russischen Truppentansporters aus dem 2. Weltkrieg. Irgendwie werde ich den
Gedanken nicht los, dass er Spaß dabei hat, denn er betrachtet alles mit sichtlichem Genuss.
„Aaaaahhhhh!“ kommt es aus meiner Kehle und ich kann es nicht unterdrücken. Was
ich im Moment gerade noch unterdrücken kann sind meine Mordgelüste. Aber ich
bin kurz davor und ich bin sicher, wenn die Richter sehen was der mit mir macht
werde ich frei gesprochen. Das sehen Sie aber nicht. Was sie sehen würden ist
ein am Boden liegender Weißkittel mit dem Gummischlauch vom Stethoskop um
seinen Hals gewickelt und Zeugen würden bestätigen, dass ein schwitzender
Patient mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem bunten Marchmallow aus dem
Krankenhaus humpelt. Da wirst Du doch gleich verdächtigt. Ghandi weiß nicht in
welcher Gefahr er schwebt, deswegen macht er munter weiter. Meine Schreie
beantwortet er ganz gelassen „Mussma gugga ob Bända gerissa sinn!“. Jetzt sagt
er „Allas in Odnu, nitts gabut Kollega!“ und ich bin erlöst. Bevor ich mich aus
dem Zimmer schleppe ziehe ich noch den Strumpf über und schlüpfe in den Birkenstock, der einzige Schuh, der dem Klumpfuss
passt. Dabei huscht mein Blick noch kurz über den Bildschirm und ich sehe meine
Patientendaten mit allem Drum und Dran. Auch die Berufsbezeichnung. Der Yogi hat
also gewusst dass ich kein Doc bin und hat mich deswegen genüsslich gequält, das
weiß ich genau.
Auf dem Weg nach draußen gehe ich schweißüberströmt an der netten Dame
vorbei und bleibe stehen. Sie schaut kurz hoch und lächelt aber die die
Telefonnummer bekomme ich nicht. Wenn ich ehrlich bin würde ich einem
schreienden und völlig durchgeschwitzen Fremden meine Nummer auch nicht geben.
Aber an dem Doc kann ich mich noch rächen. Denn es wird der Tag kommen an
dem der Meister des Kamasutra erneut vor mir steht. Nämlich dann, wenn er meine
beruflichen Fähigkeiten in Anspruch nehmen will. Z.B. wenn er ein Getriebe
braucht für einen Tagebaubagger oder als Antrieb für Schleusentore. Dann, ja
dann … sitze ich auf der anderen Seite vom Schreibtisch.
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